Ambidextrie – Geht das überhaupt?
Ambidextrie? – Nie gehört. – Ambidextrie bedeutet, mit beiden Händen unterschiedliche Dinge tun. Gemeint ist damit, mit der einen Hand das Tagesgeschäft möglichst effizient zu erledigen und mit der anderen Hand zu innovieren. Dass das gar nicht so einfach ist, lehrt die Praxis.
Ein Mann hackt Holz. Seine Axt ist stumpf, so dass er sich sehr abmühen muss. Ein anderer macht ihn darauf aufmerksam und sagt: Du musst mal Deine Axt schärfen. Diese ist doch stumpf. Die Antwort ist: Ich habe keine Zeit, ich muss Holz hacken.
Meist sind Führungskräfte so sehr damit beschäftigt, ihren Verantwortungsbereich zu optimieren und effizient zu führen, dass sie keine Zeit haben, um über Innovationen nachzudenken. Lediglich fünf Prozent der Führungskräfte sagen, dass es ihnen sehr gut gelingt, beide Aufgaben zu kombinieren. Die Telekom will alle ihre Führungskräfte ambidexter – beidhändig – machen.
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Lässt sich Ambidextrie entwickeln?
Zunächst kann Ambidextrie strukturell aufgebaut werden: Es gibt Innovationsabteilungen oder -stellen, sogenannte „Störer“, die Ideen entwickeln und nach vorne treiben. Leider sind solche Stellen oft so weit vom Tagesgeschäft entfernt, dass ihnen der nötige Praxiseinblick fehlt. Es entstehen Ideen, die schwer umsetzbar sind. Darüber hinaus geben sie das hart verdiente Geld mit vollen Händen aus, was deren Akzeptanz nicht fördert. Und schließlich müssen die einen hart arbeiten und die anderen dürfen kreative Ideen spinnen. Also kein gut funktionierender Ansatz.
Einige (wenige) Unternehmen haben das anders strukturiert. Hier können Mitarbeiter an einem Tag in der Woche etwas tun, was nichts mit ihrer eigentlichen Hauptaufgabe zu tun hat. Nach außen hin wird zumindest behauptet, dass dadurch gute Ideen entstehen.
Ambidextrie und Denkstrategien
Neurologische Führung betrachtet gerne auch die Art und Weise, wie ein Mitarbeiter denkt und sich motiviert. Ein Mitarbeiter, der in seiner Aufgabe seinen Denk- und Motivationsstrategien folgen kann, leistet in der Regel deutlich mehr und bleibt gesund.
Betrachten wir die Hauptaufgabe, die möglichst effizient zu erledigen ist, so stellt man fest, dass es hierzu insbesondere vermeidende, prozedural denkende, detailorientierte und gleichmotivierte Mitarbeiter braucht. Der Mitarbeiter soll Fehler vermeiden, Prozessen folgen, sich für das Detail interessieren und die Aufgaben immer in der gleichen Art und Weise sowie gleichen Qualität erledigen.
Welche Denkstrategien braucht innovatives Arbeiten?
Wer innovativ sein soll, braucht eine anstrebende Motivationshaltung. Er muss nach der Lösung, nach einer neuen Idee, vielleicht sogar nach dem neuen Geschäft suchen. Er sollte auch optional denken, denn auf eingetreten Pfaden entstehen kaum neue Ideen. Er sollte verschieden denken, also Dinge mal auf den Kopf stellen, von einer anderen Seite schauen und in Frage stellen. Innovationsförderlich ist es auch, eher nicht im Detail zu stecken, sondern Themen miteinander in Beziehung zu bringen, zu verknüpfen, Erkenntnisse aus verschiedenen Bereichen zu kombinieren.
Wie wir sehen, passen die Denkstrategien dieser beiden Tätigkeiten nicht zusammen. Will man echte Innovationen bewirken und will man Fehlbelastungen vermeiden, muss man Exploitation und Exploration trennen. Der Führungskraft muss klar sein, welcher Mitarbeiter welcher Denkstrategie folgt. Nur so kann er die richtigen Aufgabenverteilung sicherstellen.
Zwischen Denkstrategien wechseln?
Zum Teil wird vorgeschlagen, dass – gerade Führungskräfte – zwischen den verschiedenen Denkstrategien hin und her schalten müssen. Auf der einen Seite müssen sie im Detail Prozesse optimieren und auf der anderen Seite Innovation zulassen bzw. herbeiführen. Aus neurologischer Sicht gelingt dies aber nicht. Wer so etwas vorschlägt, gefährdet die Leistungsfähigkeit von Organisation und die Gesundheit der Führungskräfte.
Führungskräfte sollten eher einer Denkstrategie folgen, die zu innovativen Aufgaben gehört. Organisationen sollten aufhören, von Führungskräften Detailwissen zu verlangen. Für Detailwissen sollten wir die Mitarbeiter fragen, die am nahesten dran sind. Führungskräfte sollten führen und Innovation moderieren. Insofern sehen wir die Absicht der Telekom, alle Führungskräfte beidhändig zu machen, extrem kritisch, zumal psychische Fehlbelastungen gerade in der Telekommunikationsbranche überdurchschnittlich stark vertreten sind.
Fazit
Ambidextrie kann aus neurologischer Sicht nicht funktionieren. Deshalb schlage ich vor:
- Identifizieren Sie die Denkstrategien Ihrer Mitarbeiter. (Anleitungen dazu in meinem Seminar Neurologische Führung)
- Lassen Sie jeden einzelnen Mitarbeiter möglichst das tun, was er am besten kann. Vergeben Sie Aufgaben passend zu den Denk- und Motivationsstrategien der Mitarbeiter.
- Sorgen Sie für eine Vernetzung und ein gemeinsames Anliegen, um alle Mitarbeiter zu einem sinnvollen Ganzen zu integrieren.
Seminar Neurologische Führung
Wirtschaft und Gesellschaft stehen mitten in einem gewaltigen Wandel. Hierarchien werden obsolet, Denken in Organisationseinheiten löst sich auf, Macht ist großflächig kaum noch akzeptiert und Wissen ist nicht mehr Herrschaftsgrundlage. Gleichzeitig fordert die Globalisierung immer höhere Leistungen. Innovation ist fast nur noch in offenen Kooperationen möglich, längst losgelöst von formalen Finanzquellen. Führungskräfte stehen zunehmend mit leeren Händen vor ihren Mitarbeitern. Aber …
Die Neurologische Führung zeigt Ihnen Wege in eine nachhaltige, gesunde und motivierende Hochleistungskultur. Sie werden vieles aus der Hand geben, aber niemals die Führung. Es braucht Sie als Führungskraft. Nur, dass Führung heute anders funktioniert. Sie müssen es schaffen, Menschen zu begeistern, sie in Ihren Bann zu ziehen, sie zu Fans zu machen, selbst wenn es gar nicht Ihre eigenen Mitarbeiter sind.
In diesem Seminar Neurologische Führung entwickeln Sie zukunftsfähige Führungskompetenzen.
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Guten Tag Herr Hein,
ich studiere International Business an der Leuphana Universität Lüneburg und bereite einen Vortrag zum Thema Ambidextrie vor. Ihr Podcast kommt zum Punkt Kritik sehr gelegen. Ihre Argumentation kann ich gut nachvollziehen, einzig interessiere ich mich für die ausführliche Begründung. Warum genau ist aus neurologischer Sicht die Kombination von Innovation und Effizienz nicht möglich? Hat die Erklärung mit der menschlichen Unfähigkeit zu tun, Multitasking zu betreiben? Oder ist dieses psychologische Phänomen aus Ihrer Sicht hier fehl am Platz?
Vielen Dank vorab und freundliche Grüße,
Anna Gerke
Die Antwort zu Ihrer Frage ist zugegeben etwas kurz gekommen in dem Artikel. Deswegen mache ich das nochmal etwas ausführlicher: Um innovativ und darin besonders gut zu sein, braucht es bevorzugte Denk- und Motivationsstrategien. Man braucht dazu eine eher folgende Strategien:
– anstrebend (also auf etwas hin, auch Lustmotivation genannt)
– zumeist proaktiv (also von sich aus motiviert)
– optional (von eingetretenen Pfaden abweichen, Neues ausprobieren usw.)
– verschieden (motiviert sein, immer wieder etwas anders zu machen)
– eher global (Innovation entsteht oft dadurch, dass man über den Tellerrand schaut und verschiedene Disziplinen miteinander verknüpft)
– eher renitent (also kein Bewahrer, sondern jemand, der auch bei Widerstand noch das Gegenteil beweisen will)
Aus meiner Sicht wären das die notwendigen mentalen Strategien. Jetzt muss man wissen, dass diese Strategien frühkindlich gelernt und extrem stabil sind. Ein optional denkender Mensch kann vielleicht auch einer Prozedur folgen. Das strengt ihn aber sehr an, er wird nicht sonderlich dazu motiviert sein und weicht von der Prozedur bei nächster Gelegenheit ab.
Für Effizienz braucht es ein paar abweichende Strategien:
– eher vermeidend (möglichst Fehler vermeiden, Abweichungen vermeiden o. ä.)
– vermutlich auch stärker proaktiv (ist bei Routine-Aufgaben jedoch nicht so entscheidend)
– prozedural (dies ist wohl am stärksten ausgeprägt. Man muss sich konsequent an effiziente Strukturen halten.)
– gleich (auch hier wohl eher stark ausgeprägt. Motiviert zu sein, es immer auf die gleiche Art und Weise zu tun, wird für Effizient wichtig sein)
– eher detail-motiviert (hier geht es nicht um den großen Blick, sondern um Fokussierung auf genau das, was gerade zu tun ist, also eher um Details)
– gehorsam (Effizient entsteht nicht durch Widerspruch sondern durch gehorsames Befolgen von Anweisungen, Regeln, To-Dos und Prozessen)
Innovation und Effizienz brauchen aus meiner Sicht einfach unterschiedliche Mindsets. Es hat also nicht nur mit der Unmöglichkeit von Multitasking zu tun. Denn beides müsste ja nicht zwangsläufig zum gleichen Zeitpunkt geschehen. Und Hin- und Herschalten zwischen zwei Tätigkeiten kann das Gehirn schon, auch wenn es das nicht gleichzeitig kann. Aber beide Tätigkeiten brauchen – für gute oder exzellente Leistung – zum großen Teil widersprüchliche Denk- und Motivationsstrategien. Deswegen habe ich behauptet, dass beides nicht geht.