Der Kampf des Bewusstseins.
Der Evolution ist ein grandioser Schritt gelungen: Wir Menschen haben als einziges Lebewesen einen bewussten Verstand. Wir handeln und entscheiden bewusst, wir denken und argumentieren logisch. Wir gestalten unser Leben bewusst und haben es im Griff. Glauben wir. Stimmt das?
Nehmen wir an, Sie müssten in einer mehrköpfigen Geschäftsführung eine Entscheidung treffen. Der Grund ist eine wirtschaftliche Regression der Unternehmenskennzahlen.
Wahrnehmungsprozess
Als Mitglied der Geschäftsführung schauen Sie sich in Vorbereitung der Entscheidung die aktuellen KPIs an. Ihre Augen nehmen Zahlen wahr, die Netzhaut setzt die optischen Impulse in elektrische Signale um und diese landen im sog. Limbischen System Ihres Gehirns. Dieses System prüft zunächst auf eine akute Gefahr. Das dauert ca. 150 Millisekunden. Bis hierher findet alles unbewusst statt.
Danach gleicht das Limbische Systeme diese „Wahrnehmung“ mit höheren Gehirnregionen auf frühere Erfahrungen ab. Die Wahrnehmung wird abschließend bewertet. Jetzt sind insgesamt 400 Millisekunden vergangen. Unbewusst. Das Limbische System ist der Sitz der Emotionen. Die Wahrnehmung ist emotional vollständig aufgeladen, was wesentlichen Einfluss auf alle nachfolgenden Überlegungen hat. Unbewusst.
Bewusstsein: Analyse
Jetzt versuchen Sie als Geschäftsführer die Zahlen zu analysieren. Dabei ist Ihre linke Gehirnhälfte aktiv. Hier wird logisch gedacht, analysiert, kombiniert und in Beziehung gesetzt. Allerdings hat die analytische Gehirnhälfte nahezu keinen Zugang zu emotionalen Zentren. Soll ja auch nicht. Als Geschäftsführer müssen Sie einen kühlen Kopf bewahren. Emotionen haben da keinen Platz.
Jetzt stehen „nach reiflichen Überlegungen“ Ergebnisse fest, die völlig emotionsbefreit weiterverarbeitet werden. In Ihrem Limbischen System ist aber immer noch die bewertete und emotional aufgeladene Wahrnehmung aktiv und nimmt Einfluss auf alle anderen Denk- und Wahrnehmungsvorgänge. Und Sie tun so, als wäre Ihr Ergebnis losgelöst von Emotionen. Doch das ist falsch. Aber es ist unbewusst.
Das Limbische System funkt bei ausreichend starker Aufladung ständig an den Rest des Gehirns (und den ganzen Körpers). Auch noch so analytisches Denken wird davon unbewusst beeinflusst. Wir haben zwar hinterher den Eindruck, eine vernünftige Entscheidung getroffen zu haben. Sie war jedoch vom Limbischen System und damit vom Unbewussten extrem stark beeinflusst. Unser Bewusstsein gaukelt uns etwas anderes vor.
Fassen wir zusammen: Das Limbische System mit seiner emotionalen Aufladung nimmt wesentlichen, unbewussten Einfluss auf relativ schwache bewusste Prozesse im Gehirn.
Bewusstsein: Entscheidung im Gremium
Jetzt kommen Sie als Geschäftsführer im Entscheidungsgremium zusammen. Da gibt es den Vorsitzenden der Geschäftsführung. Mit dem können Sie vielleicht nicht so gut. Sie haben immer Streit (emotionale Aufladung!). Aber der Kollege neben Ihnen, mit dem verstehen Sie sich gut. Der hört auch auf Sie und Ihre Meinung und akzeptiert Sie als Experten. Das gibt Ihnen Mut und stärkt Sie (emotionale Aufladung!) Gerade hatten Sie noch mit Ihrer Frau/Ihrem Mann telefoniert. Sie hatte Ihnen gesagt, dass Ihr Sohn in der Schule wohl einen Stuhl kaputt gemacht hat. Ärgerlich (emotionale Aufladung).
Der Vorsitzende ergreift das Wort und stellt die Situation aus seiner Sicht dar. Sie haben das ganz anders wahrgenommen. Jetzt ärgern Sie sich über diese Oberflächlichkeit (emotionale Aufladung). Sie unterdrücken den Ärger und kommen aus der Deckung. … Wir können das lange in jede erdenkliche Richtung fortsetzen. Am Ende wird eine Entscheidung gefällt. Im Gremium. Eine Entscheidung, in der vielleicht der eine mutiger sein will, als der andere (emotionale Aufladung). Die Rolle des Bewusstseins können wir fast vernachlässigen – auch wenn es sich anders anfühlt.
Schließlich behaupten alle, dass sie nach ausführlicher Beratung sowie eingehender Analyse und Bewertung zu der Erkenntnis gekommen sind, dass 20 Mitarbeiter in der Produktion abgebaut werden müssen. Der Mächtigste (oder der, dem am meisten Macht von den anderen gegeben wurde) setzt sich durch. Aber es war kaum das Bewusstsein.
Daraus folgt …
Die Forschung geht davon aus, dass 70 bis 80 Prozent aller Entscheidungen (auch die großen) unbewusst getroffen werden. Im Nachhinein werden dann Argumente zusammengetragen, die die Entscheidung rechtfertigen. Die Entscheidung selbst ist bereits viel früher gefallen. Vermutlich im Kopf des Vorsitzenden, der an dieser ineffizienten Produktion sowieso keinen Spaß hat und sie am liebsten schließen und nach Korea verlagern würde.
Das hat viele Implikationen für den Führungsalltag: Sie geben einem Mitarbeiter eine Aufgabe und hoffen, dass dieser sich entscheidet, diese Aufgabe best- und schnellstmöglich zu erledigen. Doch vielleicht hat Ihr Mitarbeiter sich bereits dagegen entschieden, als Sie ihn zu sich gerufen haben.
Jetzt werden Sie nur eine einzige Chance haben: Sie müssen einen emotionalen Impuls setzen, der im Limbischen System Begeisterung für diese Aufgabe auslöst. Das ist schwierig. Aber es geht. Der erste Schritt dazu ist, dass Sie selbst Begeisterung empfinden. Und das können Sie trainieren.
Wussten Sie eigentlich …
… das in einer Zeiteinheit das Bewusstsein 15 bits und das Unterbewusstsein 11 Millionen bits verarbeiten? Der Kampf des Bewusstseins – der systembedingt bereits verloren ist.